Roderich Kiesewetter: "Kein Waffenstillstand zu Lasten der Ukraine"

Der Ukrainekrieg bestimmte den Informations- und Diskussionsabend mit Roderich Kiesewetter MdB im voll besetzten Nebenzimmer des Gasthauses Engel. Der CDU-Bundestagsabgeordnete gilt als einer der versiertesten deutschen Außen- und Sicherheitspolitiker und verfügt als Oberst a.D. über große militärische Erfahrung. Er zeigte sich überzeugt davon, dass die Ukraine gegen Russland bestehen kann, wenn der Westen und insbesondere Deutschland dem Land die notwendige Unterstützung gewähren.

Roderich Kiesewetter MdB gab auf Einladung des CDU-Ortsverbands Rastatt-Stadt und des Landtagsabgeordneten Dr. Alexander Becker profunde Einblicke in Hintergründe und Folgen des Ukrainekriegs.  Foto: Gerhard SchauppelRoderich Kiesewetter MdB gab auf Einladung des CDU-Ortsverbands Rastatt-Stadt und des Landtagsabgeordneten Dr. Alexander Becker profunde Einblicke in Hintergründe und Folgen des Ukrainekriegs. Foto: Gerhard Schauppel

Auf Einladung des CDU-Ortsverbandes Rastatt-Stadt und des CDU-Landtagsabgeordneten Dr. Alexander Becker gab Roderich Kiesewetter zwei Stunden lang profunde Einblicke in die Hintergründe und Folgen des russischen Angriffskriegs. Zuvor hatte Vorstandsmitglied Monika Zierz in Vertretung des urlaubsbedingt abwesenden Vorsitzenden Jürgen Wahl den Referenten kurz vorgestellt. Nach seinen Worten hat Präsident Wladimir Putin den Einmarsch in das Nachbarland von langer Hand geplant und vorbereitet. Denn für den Kreml-Chef sei der Zerfall der Sowjetunion das größte Drama aller Zeiten. Die Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 nannte Roderich Kiesewetter einen „Weckruf, den leider nicht alle gehört haben“. Putin habe inzwischen Dutzende von Widersachern beseitigen lassen sowie Politik und Kirche gleichgeschaltet. Kyril I., Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, sei einer der engsten Vertrauten des Präsidenten und rechtfertige den Überfall auf die Ukraine. Die Verbundenheit rühre nicht zuletzt aus der gemeinsamen Agententätigkeit für den russischen Geheimdienst KGB. 

Die Ukraine habe mit einer Million Soldaten und noch mal so vielen Reservisten ausreichend Kräfte, um gegen Russland zu gewinnen, betonte Roderich Kiesewetter. Dem Aggressor hingegen gehe langsam das Personal aus. So habe das russische Militär beispielsweise zu wenig Piloten. Eine Generalmobilmachung könne Putin jedoch nicht anordnen, weil sich Russland ja offiziell gar nicht im Krieg befinde, so der Außen- und Sicherheitsexperte. Russland setze daher weiter auf eine Materialschlacht und verschieße täglich rund 60.000 Granaten. Der Ukraine stehe gerade mal ein Zehntel davon zur Verfügung, so Roderich Kiesewetter. Diesem Defizit begegne das „top geschulte Militär“ aber durch eine bessere Aufklärung mithilfe von USA und Großbritannien. Putin habe bereits über 100.000 Mann verloren, davon seien  mehr als 10.000 desertiert. Er brauche einen Waffenstillstand, um seinen Truppen Erholung zu verschaffen und danach mit neuer Kraft Moldau, Georgien und die baltischen Staaten anzugreifen. Eine Friedensvereinbarung zu Lasten der Ukraine dürfe es aber nicht geben. Vielmehr müsse das Land mit westlicher Hilfe in die Lage versetzt werden, alle Gebiete einschließlich der Krim zurückzuerobern. Das sei auch im deutschen Interesse. Die Folgen des Ukrainekriegs, wie explodierende Energie- und Lebensmittelpreise,  belasteten zwar die Bundesbürger stark. Würden jedoch bei einem Sieg Russlands Millionen Menschen aus der Ukraine in den Westen flüchten, würden die Geldbeutel der Deutschen auf Jahre leer bleiben. „Wir müssen zu unserer Entscheidung stehen und die Unterstützung für die Ukraine durchhalten“, bekräftigte Alexander Becker die Haltung seines Bundestagskollegen. „Denn mit einem Waffenstillstand wäre der Konflikt nicht zu Ende.“

Nach seinem Vortrag sah sich Roderich Kiesewetter vielen Fragen ausgesetzt. Dabei sprach er sich unter anderem klar gegen die von der Ampelregierung beschlossene Gasumlage aus. Schließlich hätten sich die jetzt um Hilfe rufenden Energieversorger bewusst in russische Abhängigkeit begeben, so der CDU-Politiker. Die von der EU geplanten Einreisebeschränkungen für russische Staatsbürger hingegen begrüßte er. Es sollte jedoch Ausnahmen geben, beispielsweise für private Notfälle.

Großen Raum in der Diskussion nahm das Thema Bundeswehr ein, die mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2028 ertüchtigt werden soll. Vor allem die Reservestrukturen der Truppe müssten wieder aufgebaut werden, sagte Roderich Kiesewetter mit Blick insbesondere auf die Flugabwehr. Dabei sollten die Betroffenen gehört werden. „Unsere Politik hat einen Anspruch auf ungefilterte militärische Ratschläge“, so der Oberst a.D. Auf Dauer könne die Bundeswehr auch nicht als Ersatz für das THW und andere Blaulicht-Organisationen herhalten. „Wir dürfen die Streitkräfte nicht für eine verfehlte Gesellschaftspolitik missbrauchen!“ Deutschland benötige vielmehr eine zivile Reserve, in der beispielsweise Freiwillige Dienst tun und dabei Kenntnisse erwerben, die ihnen im späteren Berufsleben zunutze sein können.

Einer Reaktivierung der ausgesetzten Wehrpflicht erteilte Roderich Kiesewetter beim CDU-Diskussionsabend eine Absage. Auch die Bundeswehr sei kein Freund davon, so der Militärexperte. Zum einen sei die Truppe inzwischen eine Hightech-Armee mit hohen Ansprüchen an die Soldaten, zum anderen könnten die Wehrpflichtigen gar nicht mehr untergebracht werden. Nach der Konversion vieler früher militärisch genutzter Flächen wären laut Roderich Kiesewetter allein 60 bis 70 Milliarden Euro erforderlich, um die für neue Rekruten benötigten Kasernen zu errichten.

Große Erwartungen setzt  der CDU-Politiker in den Nationalen Sicherheitsrat, der im Januar 2023 seine Arbeit aufnehmen soll. Die Ampelregierung habe damit eine Forderung aus dem CDU-Programm zur letzten Bundestagswahl aufgegriffen. Roderich Kiesewetter drängt darauf, dass dabei auch das Thema Cybersicherheit neu gedacht wird. Bislang betreibe Deutschland nur eine Cyberabwehr und habe für sich eigene Angriffe ausgeschlossen. Diesen Fehler gelte es zu korrigieren. 

Roderich Kiesewetter: Kein Waffenstillstand zu Lasten der Ukraine